China ist ein zweischneidiges
Schwert: Einerseits ist das Land der
weltweite Spitzenreiter beim Ausbau
erneuerbarer Energien, denn seine
im letzten Jahrzehnt neu installierte
Kapazität (in Gigawatt) ist sowohl
im Bereich der Wind- als auch der
Solarkraft mehr als doppelt so hoch
wie die seines nächsten Verfolgers
(Abb. 1), andererseits hat es aber auch
im selben Zeitraum im internationalen
Vergleich die meiste zusätzliche
Kohlekraftkapazität aufgebaut, unter
anderem fast viermal so viel wie
Indien. Die chinesische Regierung
hat ihre Absicht bekundet, zum Ende
des laufenden Fünfjahresplans 2025
den Höhepunkt des CO2-Ausstoßes
zu erreichen.
Abb. 1: Ökostrommengen in China
Quelle: Bloomberg New Energy Finance, Stand: 2020.
Neue Kohlekraftwerke
mit einer Lebensdauer von 40 Jahren passen jedoch nicht gut zu dem Ziel,
bis 2060 klimaneutral zu werden. China
ist ein sehr fortschrittliches Land, das
riesige Möglichkeiten bietet, aber auch
widersprüchliche Signale aussendet.
In absoluten Zahlen trägt China am
meisten zu den weltweiten Emissionen
bei.1 Dies ist jedoch hauptsächlich auf
seine Größe zurückzuführen. Betrachtet
man den CO2-Ausstoß pro Kopf, so liegt
das Niveau deutlich unter dem der USA
und entspricht in etwa dem der EU. Der
große Unterschied ist jedoch, dass in
der EU nach über einem Jahrhundert
steigender Emissionen nun der
Trend nach unten weist, während
dies für China nicht gilt (Abb. 2). Ein
weiterer bemerkenswerter Aspekt des
nationalen Emissionsvergleichs ist,
dass es sich um produktionsbezogene
Zahlen handelt.
Emissionen, die durch
die Produktion von Gütern in China
verursacht werden, fließen also auch
dann in den Fußabdruck Chinas ein,
wenn diese Güter in der EU oder den
USA konsumiert werden. Würde man
die konsumbezogenen Emissionen
pro Kopf betrachten, so würde China
vermutlich viel besser abschneiden
als die EU, die USA und das Vereinigte
Königreich.
Abb. 2: Emissionsvergleich
Quelle: Our world in data, Stand: 2020.
Angesichts der neuen
Klimaneutralitätsziele Chinas und
seiner bestehenden Spitzenposition
im Bereich der erneuerbaren
Energien (das Land produziert 70 % aller Sonnenkollektoren2 und die
Hälfte der Elektrofahrzeuge weltweit3
und liefert einen Großteil vieler für
die Batterietechnologie relevanter
Rohstoffe4) überrascht es nicht, dass
Anleger den chinesischen Markt
für erneuerbare Energien stärker
ins Visier nehmen.
Das wachsende
Anlegerinteresse, insbesondere
seitens der Anleger, die ganz bewusst
auf ökologische und soziale Aspekte
sowie eine gute Unternehmensführung
(Environmental, Social and
Governance, ESG) achten, hat dazu
geführt, dass die Unternehmen der
Nachhaltigkeitsberichterstattung
mehr Aufmerksamkeit widmen. So ist
derzeit der Einsatz von Zwangsarbeit
in den Lieferketten ein besonders
prominentes und heikles Thema.
Gegen Ende 2021 wird
voraussichtlich ein ausführlicherer
Dekarbonisierungsfahrplan bekannt
gegeben. Dieser könnte etwas mehr
Klarheit über die Zukunft der Kohle
schaffen und wird sich wahrscheinlich
auf drei Bereiche konzentrieren:
die CO2-Bepreisung, das grüne
Finanzwesen und Investitionen
in den technischen Fortschritt.
Diese Entwicklungen bergen das
Potenzial, dem jetzt schon äußerst
positiven Szenario zusätzlichen
Schub zu verleihen.
Das Marktvolumen der
Anlagemöglichkeiten ist enorm. Laut
Prognosen der Internationalen Agentur
für Erneuerbare Energien (International
Renewable Energy Agency, IRENA)
wären bis 2050 8.519 Gigawatt
Solarstromleistung erforderlich,
um die Erderwärmung gemäß dem
Pariser Klimaschutzabkommen auf
weniger als 2 °C zu begrenzen. Dies
entspricht einer Verachtzehnfachung
gegenüber dem Niveau von 2018.5
Mehr als die Hälfte der gesamten
installierten Solarstromleistung wird
sich voraussichtlich auf Asien und dort
überwiegend auf China konzentrieren,
während der Anteil Nordamerikas
und Europas nur auf 20 % bzw. 10 %
geschätzt wird.6 Die Vorhersagen
für die Onshore-Windkraft weisen in
dieselbe Richtung. Hier ist bis 2050
eine Leistung von 5.044 Gigawatt und
damit eine Verneunfachung gegenüber
dem Stand von 2018 erforderlich.
Die IRENA prognostiziert, dass sich
über die Hälfte dieser Kapazität
ebenfalls in Asien befinden wird.7
Angesichts der aktuellen
Ankündigungen, die auf einen
Sinneswandel bezüglich der
Energiewende hindeuten,
der Verbesserung der
Transparenzstandards und der
beachtlichen Vielfalt an Chancen
sind wir der Meinung, dass sich
eine Beobachtung des chinesischen
Markts lohnen kann. Vor allem für
ESG-orientierte, internationale Anleger
steht dies jedoch unter dem Vorbehalt,
dass die Lieferketten garantiert nichts
mit den Menschenrechtsverletzungen
zu tun haben, denen die Uiguren in
Xinjiang ausgesetzt sind.