Mein Opa liebte Pferderennen, das war seine große Leidenschaft. Nannte man ihm den Namen eines Pferdes, konnte er einem sagen, wer der Vater und die Mutter waren, und wenn er wettete, lag er immer goldrichtig. Für ihn kamen Sieg-/Platz-Wetten nicht in Frage. Als Kind habe ich nicht verstanden, warum dasselbe Pferd nicht immer gewann – wenn es einmal das schnellste war, müsste es doch eigentlich fast immer das schnellste sein. Damals erklärte er mir das Handicap-System – jedes Mal, wenn ein Pferd gewinnt, wird ihm in seinem nächsten Rennen ein höheres fiktives Gewicht zugewiesen. Das machte es interessant, ungewiss, unvorhersehbar und zu seiner ganz persönlichen Passion.
Seriensieger – trotz ihres Bewertungshandicaps
Auch am Aktienmarkt gibt es ein Handicap-System: die Bewertung. Seit der globalen Finanzkrise scheint das Bewertungshandicap jedoch nicht für ein ausgeglicheneres Rennen gesorgt zu haben. Trotz immer höherer Anfangsbewertungen waren es Jahr für Jahr dieselben Gewinner. Dauersieger waren der US-Aktienmarkt, der dortige Technologiesektor und innerhalb des Technologiesektors diejenigen Unternehmen, die als Mega-Cap-Tech, Glorreiche Sieben oder seit neuestem ֪– als Broadcom als achte Aktie eine Marktkapitalisierung von über 1 Billion USD erreichte – als BATMMAAN (Broadcom, Apple, Tesla, Microsoft, Meta, Alphabet, Amazon und Nvidia) bezeichnet werden. Bemerkenswerterweise haben diese acht Titel mittlerweile einen Anteil von über 23% an der Marktkapitalisierung des MSCI ACWI.
Zum Vergleich: Der gesamte japanische Markt macht 4,7%, der britische nur 3,0% des MSCI ACWI aus. Seit Jahren hören wir von Vermögensverwaltern, dass der britische Aktienmarkt günstig sei, dennoch hat er durchweg unterdurchschnittlich abgeschnitten. Betrachtet man den britischen Aktienmarkt als Pferd, so war das ihm auferlegte Gewicht nicht niedrig genug, um konkurrenzfähig zu sein. Manchmal schien es tatsächlich so, als könnte man dem Pferd den Jockey vom Rücken nehmen, und es hätte trotzdem nicht mit dem US-Markt mitgehalten.
Britische Aktien bleiben zurück, US-Markt dominiert Rest der Welt
Quelle: Bloomberg, FTSE All-Share im Vergleich zum MSCI World (Kursreihe)
„Warum gewinnen immer dieselben? Es liegt an ihren guten Fundamentaldaten.“
Fundamentaldaten unterstützen Gewinner
Was ist denn nun schiefgelaufen beim Handicap-System des Aktienmarktes? Warum hat die Bewertung nicht für Chancengleichheit gesorgt und warum haben immer wieder dieselben gewonnen? Die Antwort liegt in den starken Fundamentaldaten der zuvor erwähnten US-Technologieunternehmen. Seit dem Börsengang im Jahr 2004 (wir hatten die Aktie 2005 gekauft und seitdem durchgehend gehalten) hat Alphabet seine Umsätze und Gewinne um mehr als 25% pro Jahr gesteigert – also über ganze 20 Jahre hinweg! Das ist in Bezug auf den Umfang und die Dauer fast beispiellos. Amazon erzielte im gleichen 20-Jahres-Zeitraum ein jährliches Umsatzplus von 25%. Meta kam erst 2012 auf den Markt, verzeichnet seitdem aber eine Umsatzsteigerung von 35% pro Jahr. Apple ist zum profitabelsten Unternehmen am Markt für Mobiltelefone avanciert und hat seit Ende 2012 42% seiner im Umlauf befindlichen Aktien zurückgekauft. Bei Nvidia verlief die Entwicklung am explosivsten: Der Umsatz betrug im Geschäftsjahr 2023 (das GJ endet jeweils im Januar) 27 Mrd. USD und wird nur zwei Jahre später voraussichtlich fast 130 Mrd. USD erreichen. In den vergangenen 20 Jahren verzeichnete der FTSE All-Share in Großbritannien einen jährlichen Gewinnzuwachs von 3,4%, wobei sich diese Wachstumsrate nach der globalen Finanzkrise verlangsamte. Jetzt kann man erkennen, warum das Handicap-System nicht funktioniert hat. Selbst das Team des Wettanbieters Paddy Power hätte die Startquoten in diesem Rennen nicht auf das richtige Niveau setzen können. Die Aufgabe war beispiellos und schier unlösbar.
Die vergangene Entwicklung sagt zwar nichts über die Zukunft aus, hilft aber dabei, die Startquoten und die Bewertungen der Teilnehmer festzulegen. Das Forward-Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des S&P 500 liegt bei 22x, während es im Rest der Welt durchschnittlich 13x beträgt. Das durchschnittliche KGV der BATMMAAN-Unternehmen beläuft sich auf 29x. Ich lasse Tesla hier außen vor, da Tesla für mich persönlich kein glorreiches Unternehmen ist. Infolge der US-Wahl hat es sich meiner Meinung nach zu einer Meme-Aktie entwickelt (mehr Gerede als Substanz).
Kann das Feld aufschließen?
Heute besitzt praktisch jeder ein Smartphone und die Werbung wurde bereits weitgehend ins Internet verlagert. Auch wenn die Wachstumsraten dieser Unternehmen in Zukunft bescheidener ausfallen dürften als in den letzten 20 Jahren, so bieten sie jedoch weiterhin hohe Cashflows und gute Möglichkeiten für die Kapitalallokation. Es sind nach wie vor starke Qualitätsunternehmen. Apple wird in diesem Jahr voraussichtlich einen freien Cashflow von über 100 Mrd. USD erwirtschaften. Cloud Computing ist allerdings ein schnell wachsendes Oligopol und die KI steht noch am Anfang. Zusammen betrachtet werden die BATMMAAN-Unternehmen vermutlich nicht mehr so stark und langfristig wachsen wie in der Vergangenheit. Gleichwohl dürften sie auch in Zukunft äußerst wettbewerbsfähig bleiben. Gemeinsam geben sie über 200 Mrd. USD für Investitionen und fast 260 Mrd. USD für Forschung und Entwicklung aus. Sollten der daraus resultierende Wettbewerbsvorteil und die Produktvielfalt auch nur annähernd so groß sein wie in der Vergangenheit, kann man von einem robusten Wachstum ausgehen. Gemäß Bloomberg-Konsens sinkt das KGV der Gruppe (ohne Tesla) auf der Grundlage des für 2030 erwarteten Gewinns auf 15x gegenüber rund 13x beim S&P 500 – das bedeutet für die Gruppe eine Gewinnverdoppelung. Wird der Rest der Welt in den nächsten sechs Jahren seine Umsätze steigern können? Wird sich das britische Pferd bewähren?
Ich habe das Gefühl, dass es ein knapperes Rennen wird. Sicherlich wird es interessanter, aber ich glaube, dass BATMMAAN zumindest teilweise wieder die Quoten schlagen kann. Sie werden im Rennen sicherlich eine gute Figur machen und für den Rest des Marktes nur schwer zu überholen sein.
Quelle aller Daten: Bloomberg, 19. September 2024