In mehr als nur einer Hinsicht beginnt mit 2022 ein neues Jahr. Nach über zehn Jahren der geldpolitischen Anreize hat die US-Notenbank Fed signalisiert, sie werde die Zinsen erhöhen und die Anreize für Wirtschaft und Vermögenspreise verringern. Folglich dürften sich ausweitende Bewertungsmultiplikatoren nicht länger für höhere Aktienkurse sorgen. Stattdessen hängt die Aktienkursentwicklung nun vom tatsächlichen Gewinnwachstum der Unternehmen ab.
In einem Markt, in dem sich die Spreu vom Weizen deutlich trennen wird, bedarf es folglich intensiver Analysen, um die künftig wahrscheinlichen Gewinner zu identifizieren. Das heißt, dass Unternehmen genau im Auge behalten werden müssen, um deren Wettbewerbsposition zu verstehen und Einblicke darüber zu erhalten, wie sich die wesentlichen Wirtschaftsthemen des Jahres 2022 auf sie auswirken werden.
Unseres Erachtens gibt es zu Beginn eines wohl schwierigen Jahres drei wichtige Themen. Mit der einsetzenden Erholung von den Folgen der Covid-19-Pandemie werden wir zwar keinen linearen Pfad beschreiten, aber wer versteht, wie sich die einzelnen Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle in Anbetracht des vorherrschenden makroökonomischen Umfelds und dieser bedeutenden Themen entwickeln werden, ist als Anleger den anderen voraus.
Thema 1: Produkte gegenüber Dienstleistungen
Erstens geht es um die Frage, wie sich die angestaute Nachfrage der Verbraucher Bahn brechen wird. Vor der Pandemie galt „Erlebnissen“ der Vorzug. Stark begünstigt wurden davon Dienstleistungen wie Reisen, Hotels, Restaurants, Flüge und Kreuzfahrten. Das pandemiebedingte Gebot der Kontaktbeschränkungen setzte dem jedoch ein Ende. In den USA sind folglich die Konsumausgaben für Güter wie Einrichtungsgegenstände und Bekleidung seit Ende 2019 um 21% gestiegen, während die Ausgaben für Dienstleistungen auf den vor Covid-19 vorherrschenden Niveaus vor sich hin dümpeln.1
Im weiteren Jahresverlauf wird der wahrscheinliche Rückzug der Pandemie 2022 den Dienstleistungen wieder zugutekommen. Aber in welchen Maße? Und werden Varianten wie Omikron und Delta diese Kehrtwende verlangsamen?
Abbildung 1: Nachfrage nach Gütern höher als nach Dienstleistungen
Reale persönliche Konsumausgaben | Q4 2019 | Q3 2021 | Delta (%) |
---|---|---|---|
Kfz und Kfz-Teile | $537,490 | $576,318 | 7 |
Einrichtungsgegenstände und Haushaltsgeräte | $421,774 | $502,640 | 19 |
Freizeitartikel und -fahrzeuge | $596,206 | $801,765 | 34 |
Sonstige langlebige Güter | $258,851 | $336,883 | 30 |
Langlebige Güter (gesamt) | $1,794,660 | $2,159,478 | 20 |
Bekleidung und Schuhwerk | $415,107 | $505,396 | 22 |
Lebensmittel und Getränke | $994,714 | $1,112,602 | 12 |
Sonstige nicht langlebige Güter | $1,137,907 | $1,304,907 | 15 |
Benzin und sonstige Energiegüter | $442,967 | $438,058 | -1 |
Nicht langlebige Güter (gesamt) | $3,010,062 | $3,398,820 | 13 |
Güter (gesamt) | $4,786,890 | $5,524,119 | 15 |
Wohnen und Versorgung | $2,111,835 | $2,150,041 | 2 |
Gesundheitswesen | $2,263,304 | $2,222,833 | -2 |
Transportdienste | $461,905 | $396,702 | -14 |
Freizeitgestaltung | $510,164 | $418,320 | -18 |
Verpflegung und Logis | $854,637 | $850,816 | 0 |
Finanzdienstleistungen und Versicherungen | $850,903 | $877,907 | 3 |
Sonstige Dienstleistungen | $1,132,570 | $1,114,336 | -2 |
Dienstleistungen | $8,505,897 | $8,365,837 | -2 |
Persönliche Konsumausgaben | $13,248,981 | $13,723,725 | 4 |
Quelle: Bureau of Economic Analysis, https://www.bea.gov/data/income-saving/personal-income.
Thema 2: Anhaltende Engpässe
Ein relevantes Thema sind die Lieferengpässe, die der Wirtschaft zu schaffen machen und für Inflation sorgen. Sie betreffen vor allem drei Bereiche: die Lagerbestände im Einzelhandel, die Lieferketten und den Arbeitsmarkt. Zunächst können die Warenbestände des Einzelhandels nicht mit der Nachfrage der Verbraucher nach Waren Schritt halten und derart niedrige Bestände beeinträchtigen die Umsätze. Bei den Lieferketten gibt es ebenfalls Probleme. Auch hier sorgen Faktoren wie die Nachfrageerholung und schlechte Prognosen für Engpässe. Diese werden unseres Erachtens jedoch Anfang 2022 allmählich nachlassen, und die Lage wird sich im Verlauf des Jahres stabilisieren. Bis Anfang 2023 dürfte wieder Normalität einkehren. Am Arbeitsmarkt fehlen weiterhin vier Millionen Arbeitskräfte, was auf eine Kombination von Covid-19-Todesfällen, vorzeitigem Ruhestand, Betreuungspersonen, die nicht mehr an den Arbeitsmarkt zurückkehren, und eine niedrigere Zuwanderung zurückzuführen ist.
Kontraintuitiv ist möglicherweise, dass Engpässe für einige Unternehmen von Vorteil sind, weil dadurch die Preise aufwärts tendieren. Unseren Analysten zufolge können Unternehmen in Bereichen wie Luftfracht und Landwirtschaft am meisten von den Engpässen profitieren. Für Automobilunternehmen, Bergbauunternehmen und sogar Banken steht hingegen viel auf dem Spiel.
Abbildung 2: Wer sind die Gewinner und Verlierer der Engpässe des Jahres 2022?
Bewertung: -2 bis +2 (-2 = am schlechtesten, 0 = neutral, +2 = am besten)
Sektor | Vertikal | Umsätze | Margen/ EPS | Kombiniert | |
---|---|---|---|---|---|
Begünstigt | Industrie | Luftfracht & Logistik | 2 | 2 | 4 |
Grundstoffe | Landwirtschaft | 2 | 2 | 4 | |
Nicht-Basiskonsumgüter | Langlebige Haushaltsgüter | 1 | 1 | 2 | |
Nicht-Basiskonsumgüter | Internet und Direktvertrieb (Einzelhandel) | 1 | 1 | 2 | |
Nicht-Basiskonsumgüter | Mehrsparten-Einzelhandel | 1 | 1 | 2 | |
Nicht-Basiskonsumgüter | Facheinzelhandel | 1 | 1 | 2 | |
Nicht-Basiskonsumgüter | Textilien, Bekleidung & Luxusgüter | 1 | 1 | 2 | |
Energie | Energieausrüstung & -dienstleistungen | 1 | 1 | 2 | |
Energie | Öl, Gas & Treibstoffe | 1 | 1 | 2 | |
Grundstoffe | Chemische Grundstoffe | 1 | 1 | 2 | |
Benachteiligt | Industrie | Handel & Vertrieb | 0 | -1 | -1 |
Informationstechnologie | Kommunikationsausrüstung | -1 | 0 | -1 | |
IInformationstechnologie | Elektronische Geräte, Instrumente & Komponenten | -1 | 0 | -1 | |
Informationstechnologie | Technologie-Hardware, Speicherprodukte & Peripheriegeräte | -1 | 0 | -1 | |
Finanzsektor | Banken | -1 | -1 | -2 | |
Gesundheitswesen | Life-Sciences-Instrumente & -Services | -1 | -1 | -2 | |
Grundstoffe | Metalle und Bergbau | -1 | -1 | -2 | |
Nicht-Basiskonsumgüter | Automobil | -2 | -1 | -3 | |
Nicht-Basiskonsumgüter | Kfz-Teile | -2 | -2 | -4 |
Quelle: Interne Bewertungsumfrage abgedeckter US-Aktien von Columbia Threadneedle Investments, 10. Januar 2021.
Thema 3: Aufstieg von ESG
Ein eher langfristiges Thema, das 2022 an Fahrt aufnehmen dürfte, sind die Bedenken der Verbraucher in Bezug auf den Klimawandel. Unternehmen in Nordamerika reagieren schon jetzt, indem sie ihr Verhalten ändern – ein Trend, der sich im nächsten Jahr beschleunigen dürfte. So hat Union Pacific, die größte Schienengesellschaft Nordamerikas, Ende 2021 ihren ersten Klimaaktionsplan veröffentlicht.2 In diesem legt die Firma Maßnahmen zur Verringerung ihrer Umweltauswirkungen dar, womit bis 2050 das Ziel von Netto-Null-Emissionen erreicht werden soll. Andere werden diesem Beispiel folgen.
Wir arbeiten mit Unternehmen zusammen, indem wir ihnen in Sachen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) beratend zur Seite stehen und versuchen zu verstehen, welche Maßnahmen sie ergreifen und welche Auswirkungen sich daraus im Laufe der Zeit für ihre Gewinne ergeben werden.
Fazit: Lohnenswerter Analyseaufwand
Das Jahr 2022 wird durch eine restriktivere Geldpolitik der US-Notenbank geprägt sein, die damit erstmals seit der globalen Finanzkrise im Jahr 2009 die Zügel straffen wird. In vielerlei Hinsicht wird dadurch eine Zeitenwende eingeläutet. Eine strengere Geldpolitik wird für mehr Differenzierung an den Aktienmärkten sorgen, da künftig höhere Unternehmensgewinne die Aktienkurse antreiben werden.
In diesem neuen Umfeld wird sich die Kursentwicklung von Aktien holprig und ungleichmäßig gestalten. Daher bedarf es intensiver Analysen, um diejenigen Unternehmen zu identifizieren, die in der Lage sind, ihre Gewinne zu steigern.